Russophobie ist Russenfeindlichkeit. Russophobe lehnen das russische Staatsgebilde (also die russische Politik), wahlweise auch die russische Sprache und Kultur und somit russische Menschen insgesamt ab.
Fachlich gehört die Russophobie zur Xenophobie (Fremdenfeindlichkeit). Ihr Gegenteil ist Russophilie, also die übertriebene Hochschätzung von allem Russischen. Xenophobie (ein griechisches Kofferwort) ist die allgemeine Furcht vor allem Fremden. Die Bezugspunkte können sozialer, religiöser, ökonomischer, kultureller oder sprachlicher Natur sein. Alle Unterschiede zu Fremden empfinden Xenophobe als Bedrohung. Aus Xenophobie kann übertriebener Nationalismus erwachsen.
Politische Verwendung des Begriffs Russophobie
Putin und seine Anhänger nutzen den Begriff der Russophobie als politisches Argument, um Gegner der gegenwärtigen Kreml-Politik zu diskreditieren. Diese Tendenz gibt es schon seit den früheren 2000er-Jahren, doch sie hat sich spätestens seit den russischen Militäreinsätzen in Georgien (2008), auf der Krim (2014), in Syrien (ab 2015) und in der gesamten Ukraine (seit dem 24.02.2022) erheblich verstärkt. Demnach ist jeder Kritiker der aktuellen Politik Russlands russophob. Gestützt wird dieses Argument seit Anfang März 2022 durch die Tatsache, dass etliche westliche Kultureinrichtungen russische Künstler entließen (so Valery Gergiev als Chefdirigenten der Münchner Philharmoniker) oder nicht mehr auftreten ließen (unter anderem die Starsopranistin Anna Netrebko).
Seit wann gibt es Russophobie?
Die Russophobie hat eine erstaunlich lange Geschichte. Belegt ist sie erstmals im 13. Jahrhundert. Damals kämpfte der Deutsche Orden gegen die russischen „Schismatiker“, die in zeitgenössischen Darstellungen als Ungläubige bezeichnet wurden, die plündernd gegen christliche Ländereien vorgehen würden. Solche Vorfälle dürfte es in der Tat gegeben haben, allerdings ist eine Phobie (krankhafte Angst) dadurch gekennzeichnet, dass sie übertriebene, pauschale Bilder malt.
Schon in jener Zeit kristallisierte sich die Russophobie als Reaktion auf die militärische Bedrohung durch das immerhin große russische Volk und Staatsgebiet heraus, woran sich bis heute nichts geändert hat. Mit diesem handfesten Hintergrund unterscheidet sie sich von anderen Formen der Xenophobie, so etwa dem Antisemitismus: Die Juden haben in ihrer vieltausendjährigen Geschichte jedenfalls bis zur Gründung des Staates Israel (1948) kaum jemals andere Völker bedroht, dennoch ist Antisemitismus eine der ältesten Formen der Xenophobie.
Einen neuen Aufschwung nahm die Russophobie im frühen 16. Jahrhundert, als die Großfürstentümer Moskau und Litauen (dieses verbündet mit Polen) erbittert um die restliche Kiewer Rus stritten. König Sigismund I. von Polen schrieb an den Papst und an seine europäischen Herrscherkollegen, dass die „Moskowiter“ Feinde des Christentums seien und sich mit den Tataren und Türken gegen das Christentum verschworen hätten. Dies war ein unrealistisches, russophobes Bild. Der Zar Iwan der Schreckliche (1530 – 1584) förderte mit seiner Herrschaft, die von Massenhinrichtungen geprägt war, ebenfalls in westlich gelegenen Ländern die Russophobie.
Ab dem 19. Jahrhundert verbreitete sich die Russophobie in Frankreich. Zwar nahm die europäische Aufklärung eine positive Haltung zu Russland ein, dessen Kultur (Puschkin, Tolstoi, Tschaikowsky etc.) man sehr schätzte, doch Napoléon Bonaparte bezeichnete spätestens nach seinem gescheiterten Russlandfeldzug 1812 die Russen als Barbaren, die in ihrer Rückständigkeit seinen liberalen Ideen entgegenstünden. Dementsprechend unzivilisiert führte er sich in Russland auf: Bevor er seine Truppen aus Moskau abziehen ließ, wollte er sogar die Türme des Kremls sprengen lassen, was misslang. Noch während des gesamten frühen 19. Jahrhunderts hielt sich die Russophobie in der französischen Geschichtsschreibung und Presse.
Russen wurden wahlweise als sehr rückständig beschrieben oder gar aus Geschichtsbüchern komplett ausgeklammert wie bei den Autoren François Guizots und Jules Michelet. 1830 begehrten die Polen gegen die Herrschaft des russischen Zaren auf, ganz Europa unterstützte sie und argumentierte dabei russophob. Alexis de Tocqueville stellte 1835s die beiden Weltmächte USA und Russland vor und konstruierte zwischen ihnen den Gegensatz zwischen demokratischer Freiheit und Knechtschaft unter dem Zaren. Ähnliche intellektuelle Auseinandersetzungen mit russophober Basis gab es auch im späteren 19. Jahrhundert.
Schließlich griffen russische Autoren diese Feindbilder auf und konstruierten ihrerseits einen Gegensatz zwischen Slawen und Westlern. Es gab aber im 19. Jahrhundert auch Gegenströmungen. Die Deutschen Rilke, Nietzsche und Thomas Mann wandten sich Russland zu, weil die Russen Napoleon widerstanden hatten, der schließlich auch Mitteleuropa einschließlich großer deutscher Gebiete besetzt hatte. Russland war demnach der „Retter Europas“, die Zarenherrschaft wurde zwangsläufig als legitime Monarchie bezeichnet. Linksrevolutionäre Kreise wiederum um Karl Marx und Friedrich Engels bezeichneten Russland als reaktionären Staat, was die Russen unter Lenin ab der bolschewistischen Revolution von 1917 nicht daran hinderte, sich gerade auf Marx und Engels zu berufen:
Schließlich hatten die kommunistischen Bolschewiki ja der reaktionären Zarenherrschaft ein Ende gesetzt. Ende des 19. Jahrhunderts flaute die in Frankreich und auch in Großbritannien verbreitete Russophobie allmählich ab, bis die russische Revolution von 1917 und der bis zum Beginn der 1920er-Jahre andauernde Bürgerkrieg in Russland und seinen Satellitenstaaten neue Furcht vor dem nun kommunistischen Russland nährte, das sich zur Sowjetunion auswuchs. Diese drohte alsbald den kapitalistischen Staaten mit der Weltrevolution.
Ende der 1920er-Jahre übernahm Josef Stalin die Macht, wirkte unerhört repressiv nach innen und isolierte sein Land nach außen. Die Russophobie wuchs im Westen wieder erheblich an und erreichte in Deutschland eine neue Blüte im Nationalsozialismus ab 1933. Hitler verband sie mit seinem Antisemitismus und dem Antibolschewismus, er wollte den „jüdischen Bolschewismus“ bekämpfen, was pure Propaganda war, denn die Juden spielten in der sowjetischen Staatsführung keine bedeutende Rolle.
Russophobie ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts
Die russisch dominierte Sowjetunion lieferte im Kalten Krieg eine Steilvorlage für Russophobie, die auch in den Ostblockstaaten (vor allem DDR, Tschechoslowakei und Ungarn) neue Nahrung erhielt, nachdem sowjetische Truppen dort Volksaufstände niedergeschlagen hatten (DDR 1953, Ungarn 1956, Tschechoslowakei 1968).
Zwar versuchten die prosowjetischen Staatsführungen, ein russenfreundliches Bild zu zeichnen, Russisch wurde in den Schulen des Ostblocks die erste Fremdsprache. Doch in der Bevölkerung hielt sich die Russophobie, die sich mit der Abneigung gegen die eigene diktatorische Staatsführung paarte. Selbst Putin anerkennt heute, dass die Ereignisse 1953, 1956 und 1968 in den drei genannten Ostblockstaaten das Verhältnis der dortigen Bevölkerung zur Sowjetunion und vor allem zu den Russen schwer beschädigt hat: Nur schiebt Putin alles auf die Russophobie und verkennt den politischen Kontext.
Im Westen dominierte die Russophobie spätestens ab der Ära des US-Präsidenten Ronald Reagan (ab 1981) sogar in Hollywoodproduktionen, die stereotype russophobe Bilder zeichneten. Nach dem Zerfall der Sowjetunion und des gesamten Ostblocks spätestens ab 1989 flaute diese Russophobie im Westen deutlich ab. Filme jener Zeit griffen Kooperationen zum Beispiel zwischen den Geheimdiensten Russlands und der USA etwa bei der Terrorbekämpfung auf, die es auch in der Realität gab.
Doch ehemalige Dissidenten und Sowjetologen warnten schon damals eindringlich vor einem zu russlandfreundlichen Bild. Die unmittelbaren Nachbarn Russlands in Osteuropa (das Baltikum, Polen, die Slowakei, die Ukraine, Rumänien, Georgien und Moldawien) blieben russophob und drängten sehr schnell in die EU und nach Möglichkeit in die NATO. Sie bauten sogar ihre nationale Identität auf der Russophobie auf.
Diese wurde nicht nur durch das alsbald wieder aufflammende Expansionsstreben Russlands unter Putin in den frühen 2000er-Jahren, sondern auch durch die russische Mafia gefördert, die schon seit den 1990er-Jahren einen vermeintlich unzweifelhaften Beleg dafür lieferte, wie kriminell, korrupt und kleptokratisch ganz Russland zu sein scheint. Dies kritisierte sogar Michail Gorbatschow nach seinem Rücktritt in den frühen 2000er-Jahren. Er hatte zwar mit Glasnost und Perestroika die Auflösung der Sowjetunion und des Ostblocks angeschoben, doch nun bemängelte er, dass die westliche Berichterstattung über Russland undifferenziert und überwiegend ablehnend, mithin russophob erfolge.
Russophobie heute (2022)
Seit dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine am 24.02.2022 erlebt die Russophobie weltweit einen unerhörten Aufschwung. Dazu tragen mehrere Fakten bei:
- Russland hatte in seiner äußerst kurzen liberalen Phase unter Boris Jelzin (Präsident 1991 – 1999) zu wenig Zeit, im Westen von sich ein ausgewogenes bis positives Bild zu zeichnen. Zum Vergleich: Deutschland kämpft um so ein Bild seit nunmehr 77 Jahren.
- Putin greift sehr stark auf zaristische und kommunistische Traditionen zurück, die seinerzeit die Russophobie stets gefördert hatten. Dabei folgt ihm sein Volk offenkundig mehrheitlich. Das lässt eine historisch gewachsene Russophobie aufleben.
- Die aktuelle russische Propaganda ist so rückwärtsgerichtet, dass selbst vernünftige Menschen darauf inzwischen russophob reagieren.
Wie schon eingangs beschrieben greifen die russischen Demagogen in Staatsdiensten diese Tendenz auf und bezichtigen bereits seit Jahren alle Kritiker an der russischen Politik der Russophobie. Dagegen wehren sich liberale russische Autoren, die teilweise das Wort Russophobie am liebsten verbieten würden, damit es nicht als Propagandainstrument genutzt werden kann. Der Osteuropaforscher Andreas Umland hat beobachtet, dass Putin selbst und seine Medien die in der Tat historisch gewachsene Russophobie in Westeuropa geschickt als Argument verwenden, um jede Kritik an der aktuellen russischen Politik abzubürsten.
Angemessener Umgang mit Russophobie
Es scheint angemessen zu sein, Russophobie als das zu betrachten, was sie wirklich ist: Ein Teilbereich der Xenophobie, ein pauschales Vorurteil, nicht besser als Antisemitismus und einer zielführenden Auseinandersetzung mit der aktuellen russischen Politik (Stand: März 2022) keinesfalls zuträglich. Die Deutschen müssten es eigentlich am besten wissen: Ihre Vorfahren haben im 20. Jahrhundert zwei Weltkriege vom Zaun gebrochen und mit dem Holocaust ein singuläres Jahrtausendverbrechen begangen, doch es gab auch immer die deutsche Kultur, Wissenschaft und humanistische Gesellschaft. Diese gibt es in Russland ebenfalls.
Wichtig ist diese Betrachtung, weil ansonsten, wenn man den Umfragen glauben würde, dass über zwei Drittel der Russen Putins Politik zustimmen, nur ein Vernichtungskrieg gegen Russland übrig bliebe, wie ihn Deutschland ab den 1940er-Jahren erleben musste. Das kann keine Alternative sein. Wenn wir aber davon ausgehen, dass Russophobie unbegründet ist, lassen sich möglicherweise freiheitliche Bestrebungen in Russland fördern, die dort zu einem Systemwechsel führen. Dies ist schließlich erst vor geschichtlich kurzer Zeit, nämlich 1989, in Osteuropa einschließlich der DDR geglückt.